Martin
Böttcher

Der Raumteilende

F.-Höchst | Von Kunst- und Wohngemeinschaften

Fotos: Veronika Scherer (und Martin Böttcher) | Text: Volker Stahr

(Frankfurt-) Höchst, einst selbständige stolze Stadt, später der kleine und gerne unterschätzte Arbeitervorort der Mainmetropole. Ein Stück am Rande dessen, in der Brüningstraße, parallel zum Main. Zwischen einem kleinen Parkstück mit Kleinfeld, den Hallen- und Asphaltflächen eines Nachkriegs-Fabrik- oder Lagergeländes (das noch nicht euphemistisch »Industriepark« hieß), und einer Mischung von Mietshäusern, die bessere Tage in früheren Jahrhunderten gesehen hatten, und Nachkriegsbauten, die von solchen wohl nur träumen durften. Hier, an einer Straßenkreuzung, sticht eines der Mietshäuser heraus: eine bereits etwas aufgearbeitete Klinkerfassade, Reste von Fassadenstuck unter sanierten Fenstern, eine grüne Erdgeschoss-Fassade mit Blick in zwei frisch sanierte Ladenlokale, zusammengelegt, mit freigelegtem Fliesenboden, elektronische Sicherheitsschlösser an den Türen. Wahrscheinlich, so denkt man, typisches »Frankfurter Haus-Schicksal«, aufgekauft, aufgehübscht, zur Gentrifizierung freigegeben …

»Ich habe lange ein solches Haus gesucht«, sagt Martin Böttcher. Der Satz lässt das Bild leicht wanken. Dass Böttcher zwar Architekt – Schwerpunkt Bauen im Bestand –, aber gleichzeitig Medien-, Installations- und Keramikkünstler (mit Brennwerkstatt im Gebäude des Offenbacher Atelierhauses B71) ist, lässt es verschwimmen. Dass er das Haus, abgewohnt, mit Bar und in die Jahre gekommenem Bäckerladen, einer damals noch über die vier Geschosse verteilten weitläufigen Bäckersfamilie abkaufte, lässt es noch mal aufblitzen. Doch dann verschwindet es. Böttcher sanierte mit sehr viel Liebe zu Details, Materialien und Schönem die Geschosse. Er legte die Läden zusammen und den historischen Fliesenboden sowie die kassettierten Türlaibungen frei. Spätestens beim Blick ins Bad mit Gaudí-Fliesen als Reminiszenz an die vormalige Bar »Barcelona«, ist das Bild weg. Wenn Böttcher erzählt, dass er noch einen sechsstelligen, geliehenen Betrag ins Haus gesteckt hat, um dann die aufwändig restaurierten Obergeschosse an Auszubildende und Studierende knapp auf Mietspiegelbasis als WG-Räume abzugeben und in dem schicken Doppelladenlokal fast schon Pro-Bono-Lesungen und Kleinstformate wie den »Elektronischen Salon« oder »Techno & Töpfern« platziert, fragt man sich, was das Gegenteil von Gentrifizierung ist – wenn die Maßnahmen die gleichen, die Ergebnisse aber gegenteilige sind.

»Ich habe meine Frau Corinna in einer Töpferwerkstatt in Indien kennengelernt«. Schon bei dem Satz hätte man sich denken können, dass hier jemand ein wenig anders tickt. Genauso wie offenbar die Schwieger-Familie, mit welcher der Höchster »Raumteilende« und seine Frau in Sachsenhausen in einem Mehr-Generationen-Haus leben. Den Hang zu Schönem und Details verrät auch die kleine Drei-Zimmer-Wohnung. Oder die Mitbewohner: im Wohnzimmer ein Eames, in der Küche ein Thonet, dazu noch ein Mies van der Rohe oder ein Designertisch mit nierenförmiger Glasplatte und Holzfuß, beide Teile von verschiedenen Erb- und Sperrmüllfunden. Noch bezeichnender sind viele kleine Details: ein Transistorradio oder die Tassensammlung im Küchenschrank, in der (fast) keine der anderen gleicht. Natürlich inklusive eigenen Keramikteeschalen. Dass ein anderer Teil der Familie in Höchst das legendäre Hotel- und Restaurantschiff »Mainod« übernahm, überrascht niemanden. Auch nicht, dass Böttcher dort mit einem stadtbekannten DJ einen sonntäglichen Tanztee veranstaltet.

Das Haus B25 und der Kulturraum atmen diese Philosophie. »Auch ein solcher Ort kann doch schön sein«, so Böttcher lapidar. Klingt richtig, ist aber zugleich ein ungewöhnliches Experiment. Nicht nur Höchst hat ja bekanntlich viele solcher potentiellen Schmuckstücke. Doch zugleich gibt es auch sehr wenige Kultur(ort)schaffende, um solche mit solchem Engagement zu ertüchtigen und aufzuhübschen. Vor allem für den »Kulturraum« ist dies ambitioniert. Er soll sich ein wenig selbst tragen. Soll aber trotzdem schön sein und ein alternatives kleines Kulturprogramm bieten. Ein bisschen Lesungen, Ausstellungen, Konzerte für Musikmensch Böttcher, organisiert durch den »Verein für kulturelle Fragen«. Der Name ist auch Programm, gesellschaftlich verwobene Akzente sollen auch gesetzt werden. Ein kleiner Artist-in-Residence-Raum soll entstehen. Dass man natürlich auch, hier ganz am Rande, in den alten traditionellen Ort mit hineinwirken, Menschen ansprechen und einbinden wolle, musste kaum mehr gesagt werden. Die Anfragen tröpfeln langsam. Tausend Euro müsse er schon pro Monat einspielen, weswegen der Verein künftig da und dort schon immer mal wieder auch einen kleinen Obolus nehmen will (man beachte die vielen Füllwörter). Mal schauen, welche die nächste Quadratur ist, die sich hier ihren Kreis sucht. Immerhin: die eine oder andere scheint ihren ja schon gefunden zu haben. Ach ja. Und was war noch mal mit dem Töpfern, außer dass es »Techno & Töpfern« gibt? Böttcher löst gerade sein Atelier in Offenbach auf und will sich ein solches im Keller einrichten. »Da spare ich dann dort wenigstens die Miete …« (_us.).

Martin
Böttcher

F.-Höchst | (Offenbach)

Genre:

Kuratieren
Medienkunst
Installation

Aktuelles:

Raum für kulturelle Fragen (Link)

Website:

Lebenslauf

· 1972 in Aurich geboren
· 1989/90 High School · Seattle · USA
· seit 1990 Freie künstlerische Arbeit im Bereich Malerei
· 1993/94 Ausbildung zum Keramiker
bei Dipl. Designer Bernd Stüber · Münster/Westf.
· 1994/95 Keramikatelier · Frankfurt/Main
· 1995 Gründungsmitglied der Künstlervereinigung »The Edge«
Schwerpunkt künstlerische Arbeit mit dem
Medium Computer (Grafik · 3D) · Frankfurt/Main
· Konzeption der Ausstellung »Convention«
(Schirn Kunsthalle FFM)
in Kooperation mit T. Lauterberg
· Gründungsmitglied des Platten-Labels »Sport« (Elektro)
· diverse Covergestaltungen
· 1997-2004 Architektur-Studium · TU-Darmstadt
· 2003 Arbeitsaufenthalt · Barcelona · Spanien
· seit 2004 selbstständiger Architekt
und freischaffender Künstler
· 2006-2016 Mitglied und Atelier in der
Phrix-Künstlergemeinschaft · Hattersheim am Main
· 2017-2025 Atelier · Offenbach am Main
· seit 2020 Mitglied des KünstlerInnen-Netzwerkes artmaintaunus
· seit 2023 Gründungsmitglied und Vorstandsvorsitzender
des gemeinnützigen Kunstvereins »Raum für kulturelle Fragen e.V.«
· seit 2025 Atelier im KulturRaum B25 · Frankfurt-Höchst

Projekte und Ausstellungen

• 2024 • »Marmorphosis« • »Vinschgau kristallin« • Laas • Südtirol
• »Alltagswunder« • Kommunale Galerie Nassauer Hof • Hattersheim
• 2022 • »Licht bewegt« • Kunsttage Dreieich • Dreieich
• 2019 • 16. Offenbacher Kunstansichten • Atelierausstellung
• »Tausch! contemporary art fair« • Altheim
• 2017 »Lichtgespinste« • Video Mapping • Burg Hayn • Dreieich
• »look @ the world through my eyes« • Burg Hayn • Dreieich
• 2014 • »tranquilight« • Lichtkunstprojekt Video Mapping • Botschaft Schweiz • Berlin
• 3D Video Mapping Festival • Palais Schwarzenberg • Wien
• 2013 • »Phantastonaut« • 3D Video Mapping Neues Rathaus • Nürnberg
• 2012 • »History« • 3D Video Mapping Kurhaus • Baden • Schweiz
• 2011 • »Eisberg« • Skulptur mit 3D Video Mapping • Garding • Nordsee
• 2010 • »point of view« • Rauminstallation • Phrix Künstlergemeinschaft • Hattersheim
• 2008 • Ausstellung »Real Photography Award« • Nederlands Fotomuseum LP2 • Rotterdam
• »Lichtlaub« • Licht- und Klanginstallation • Luminale / lightsite08 • Wiesbaden
• »Momentum« • mediale Kunstinstallation • Tage der Industriekultur • Hattersheim
2005 • »espai 1« • kommunale Galerie • St. Perpetua de Mogoda • Barcelona
2004 • Ausstellung mit Bildhauer Christoph Mertens • Galeria Segovia Isaacs • Barcelona
2003 • »luz y sombra« • Skulptur im öffentlichen Raum • St. Perpetua de Mogoda • Barcelona
• »Atem« • Licht- und Klanginstallation • Stadt Hattersheim / Route Industriekultur
2002 • »traum_statt_venedig« • Videoinstallation • Bundeskunsthalle Bonn
• »Das Geheimnis des Schattens« • Deutsches Architekturmuseum • Frankfurt am Main
1998 • »digital interpolating« • Gruppenausstellung der Künstlergemeinschaft »The Edge« • Frankfurt
1993 • Einzelausstellung (Malerei) • Part Galerie • Frankfurt am Main

Werke: (Klicken zum Vergrößern)