Fotos: Veronika Scherer | Text: Volker Stahr
Gefühlt ist Bad Vilbel ja schon sehr nahe an Frankfurt. Zwar eigene Stadt, aber doch an zweieinhalb Seiten von der Metropole umgeben. Doch mit seiner alten Burgruine mit sommerlichen Festspielen, den Fachwerkhäusern rund ums Rathaus, dem Kulturzentrum Alte Mühle, den Parks und Quellen ist es schon recht eigen und eigenständig. Kultur hat hier einen beständigeren, eher weicheren Klang. Seit einem Jahr nun hat die hiesige Szene wieder einen neuen Akzent und Akteur, einen Zugezogenen. Das Umland ruft, so eine Lesart, die Metropole (ver-) drängt, so die andere.
In einem alten mehrstöckigen Haus, seitlich neben einer Hauptverkehrsader, lebt nun der eigentlich – und im Inneren wohl noch immer – Frankfurter Künstler Klaus Schneider mit seiner Frau, der Buchgestalterin Cosima Schneider. Wer das Treppenhaus hinaufsteigt zu ihrem »Haus im Haus«, einer Maisonette mit Wohn- und kleiner Atelieretage, könnte denken, sie seien schon lange hier. Die Wohnung, in der jedes Bücherregalbrett, jedes Gemälde und Gezeichnete an den Wänden klar gesetzt scheint, als sei es schon lange eingepasst. Ein Atelier, in dem alles seinen Platz hat; inklusive einem unter die Schräge hineingezirkelten Lagerraum. Bücher und Kunst geben dem Ort Charakter, auch wenn – die Werke im Atelier zeugen davon – Gerade und Linie auch dominante Züge sind. Dass Klaus und Cosima Schneider erst recht kurz hier wohnen, erschließt sich erst im Gespräch – oder wenn man ohnehin das Idyll des Hinterhauses, in dem sie vorher lebten, kannte; mit Efeu eingewachsen, mit dem ebenfalls perfekt eingepassten Ambiente und der kleinen Treppenhausgalerie im ebenfalls am Rande Frankfurts gelegenen Seckbach. Schneiders gestalten stets Lebensraum.
Rund vier Jahrzehnte war Klaus Schneider in Seckbach zu Hause. Einen guten Teil davon auch seine Frau Cosima. Einen alten Baum verpflanze man nicht, heißt es. Doch zu Kulturschaffenden wie dem fast 75-Jährigen gehört auch, selbst in diesem Alter noch einmal neu anzufangen. Wenn das Idyll zum Verkauf steht, und Buchgestaltung, Kunst und Dauerstipendium (wie Schneider etwas bissig die karge Künstlerrente nennt) natürlich nicht reichen zum Mitbieten. Dass Schneider als Künstler einen Namen hat, Frankfurt ihn 2026 für seine Lebensleistung ehren wird, Werke von ihm im öffentlichen Raum zu sehen sind, er als Hochschul-Dozent arbeitete, Museen Kunst von ihm angekauft haben – alles kein Widerspruch dazu, eher die Regel. Gerne spricht man bei Kulturschaffenden von »Lebenskünstlern«. Bei Schneider und seiner Frau träfe es »Lebenskulturschaffende« vielleicht besser. Die Wohnung mit den sorgsamen Details, etwa der kleinen Glas-Metall-Vitrine in der Küche, atmen Lebenskunst. Von selbstgebauten Möbeln über die akkurat drapierten Werke befreundeter Künstler*innen und aus dem eigenen OEuvre bis zum sorgsam gereichten Tee; kaum etwas, das nicht auch eigene Geschichte(n) hätte.
Dieses Leben spiegelt fast das vielgestaltige Künstlerleben. Wort, Bild, Ton, Installation – die Genres verschwimmen nicht nur, sondern verbinden sich oft harmonisch. Sprache stand bei Schneider am Anfang – bevor er merkte, dass sie nicht ausreichte, Dinge und Emotionen auszudrücken. Kunst hat ihn fortan auf ungewöhnliche Wege geführt. Die Braille-Schrift, das Sehen und Nichtsehen sowie die Kunst des Berührens (wörtlich und übertragen) sind ein Teil seiner Arbeit geworden. Später haben es ihm Haikus angetan. Ob als Bild, als Text, als Installation – immer wieder spielt er mit dem harmonischen Verweben von 17 Elementen. In jüngerer Zeit versucht er, dies auch in eine musikalische Ebene zu übertragen. Sein »Lochstreifen-Spielwerk Haiku«, das er gerne vorführt, ist ein »Spiel-Zeuge« davon. Lange Zeit hat Schneider sein Wissen auch weitergegeben und Studierende das Zeichnen gelehrt; auch mit ungewöhnlichen Zugängen, über Comics etwa.
Obwohl Schneider sich viele Zugänge zu Kultur und Leben geschaffen und vieles erschaffen hat, hat er wie viele Kulturschaffende keine Reichtümer angehäuft. Eher reiche Orte geschaffen. Orte, die Kunst und Mensch verbinden, Kultur schaffen. So wie das einstige Idyll in Seckbach, das neue Domizil in Bad Vilbel. Zugänge, die ihm auch Türen geöffnet haben. Eine zweite Heimat ist Italien geworden. Oft hat er dorthin sein Sommeratelier verlegt. Bis aus den Gastgebern ein befreundetes Ehepaar wurde. Seither konnten die Schneiders sommers immer wieder einige Wochen dort verbringen. Und längst steht im Süden auch ein dreidimensionales Haiku als Kunstwerk in der Landschaft – Während er offenbar manches von dort in sein hiesiges Leben und Schaffen mitgenommen hat. Nicht immer können Kulturschaffende aber alles mitnehmen. Ein wenig fremdelt Schneider schon noch mit dem vergleichbar kleinen Atelier unterm Dach. In Seckbach hatte er die dreifache Fläche. Früher, in Räumen an der Hanauer Landstraße in Frankfurt, auch mal ein Vielfaches. Doch auch das ist eine Wahrheit heutiger Kulturschaffender: Ihre Räume werden rund um die teurer werdende Metropole knapper. Dafür hat sich Schneider das Großdenken nicht abgewöhnt. Eine Vision: ein Konzert- und Veranstaltungsraum, dessen Struktur aus 17 Flächen besteht. Ein Ort vielfacher Harmonie und Linien. Ein Entwurf findet sich in seinem Atelier (vss.).
· 1951 geboren in Büdingen
· Studium der Germanistik, Philosophie, Geschichte und Kunstpädagogik an der Goethe-Universität Frankfurt
· Danach Studium der Malerei, Radierung, Zeichnung und Wandmalerei an der Internationalen Sommerakademie für bildende Kunst Salzburg
· Seit 1988 werden seine Werke in Galerien, Museen, Kunstvereinen und anderen Ausstellungsorten im In- und Ausland gezeigt und befinden sich in öffentlichen und privaten Sammlungen
Schneider erhielt zahlreiche Stipendien und Auszeichnungen und lehrte als Gastprofessor und Dozent an den Universitäten Frankfurt, Gießen und Darmstadt
· 2025 · VfaKR
Verein für aktuelle Kunst Ruhr · Oberhausen
· 2025 · »Bildklang – Klangbild«
mit Nikola Dimitrov und Eberhard Ross
gkg Gesellschaft für Kunst und Gestaltung · Bonn
· 2025 · »WeißSchwarzWeiß«
Galerie m50 · Oberursel
· 2024 · »Bei Licht besehen«
Kunststation Kleinsassen · Kleinsassen
· 2024 · »Bildklang – Klangbild«
mit Nikola Dimitrov und Eberhard Ross
Kunstverein Villa Steccius · Landau
· 2023 · »Haiku«
Kunstverein Kunstraum Westpfalz · Kaiserslautern
· 2023 · »Neue Haiku«
Galerie G · Freiburg
· 2020 · »Haiku-Raumzeichnung II«
Parco d’Arte Quarelli · Piemonte/Italien
· 2020 · »Make your own Exhibition«
Kunsthalle Zürich · Zürich
· 2018 · »BildKlangKlangBild«
Galerie Fenna Wehlau · München
· 2018 · »Code 17-4«
Oberfinanzdirektion · Frankfurt
· 2017 · »Hommage an das Oberfeld«
Designhaus · Darmstadt
· 2015 · »Haiku«
Dreieich Museum · Dreieich
· 2015 · »Die unbeleuchtete Seite der Worte«
Kunstverein KM570 · Koblenz/Pfaffendorf
(Auswahl)